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Atmen – wie du mit deinem Atem Stress, Gesundheit & Wohlbefinden beeinflussen kannst

21. März 2017 – von

Wer kennt ihn nicht, den Satz „So … jetzt erst einmal tief durchatmen … und dann sehen wir weiter.“

Diese bekannte Aussage ist letztlich nichts anderes als eine von vielen Menschen intuitiv angewandte kurzfristige Stressmanagementtechnik: einen (Gedanken)Stopp in der Stresssituation setzen und sich selber gut zureden. Und sich womöglich Handlungsanweisungen geben, was als nächstes zu tun ist – „… und jetzt schaue ich mir erst Aufgabe A an und dann Aufgabe B“. Letzteres bekannt als positive Selbstinstruktion.

Der o.g. Leitsatz spielt zugleich auf eine dritte hilfreiche Stressbewältigungstechnik an: ATMEN.

In diesem Beitrag erfährst du, wie der Atem genau funktioniert, wieso er unter Stress eine besondere Rolle spielt und wie du Atemtechniken bewusst im Alltag nutzen kannst.

Der Atem – physiologisch betrachtet

Wir atmen unbewusst und automatisch, gesteuert durch das Atemzentrum im Hirnstamm (dem Bereich des Gehirns, der stammesgeschichtlich am ältesten und für (über)lebensnotwendige Funktionen zuständig ist).

Die Atemfunktion ist Teil des vegetativen (d. h. autonomen) Nervensystems, das Tätigkeiten innerer Organe und somit auch deinen Herzschlag, deine Verdauung, deinen Stoffwechsel usw. regelt.

Zugleich ist der Atem aber die einzige vegetative Funktion, die du auch bewusst und willkürlich (d. h. mit dem somatischen Nervensystem) steuern kannst – und somit wiederum dein vegetatives Nervensystem beeinflusst.

Welche Körperteile sind nun wichtig für das Atmen?

Für das Atmen brauchen wir

  • die Atemwege (Nasen- und Mundhöhle, Luftröhre, Bronchialraum),
  • die Lunge mit den beiden Lungenflügeln,
  • den Brustkorb,
  • die Atemmuskeln (Dazu zählen neben dem wichtigsten Atemmuskel, dem Zwerchfell – eine nach oben gewölbte dünne Platte aus Muskeln und Sehnen, welche die beiden Körperhohlräume Brusthöhle und Bauchhöhle voneinander abtrennt – auch die Zwischenrippenmuskeln und Bauchmuskeln)
  • und ggf. auch die Atemhilfsmuskeln (Skalenusmuskeln, die von der Halswirbelsäule zur 1. und 2. Rippe verlaufen).

Zusammen bilden sie ein komplexes System, das den lebensnotwendigen Gasaustausch regelt: Unsere Zellen brauchen regelmäßig Sauerstoff (O2), der von ihnen zur Erzeugung von Energie (auch innere Atmung oder Zellatmung genannt) genutzt wird.

Das Abfallprodukt Kohlendioxid (CO2) wird wieder an die Umgebungsluft abgegeben – das Einatmen von O2 in und das Herausbringen von CO2 aus dem Körper, also der eigentliche Gasaustausch, werden auch als äußere Atmung bezeichnet.

Die Ein- und Ausatmung

Die Einatmung funktioniert folgendermaßen (siehe Abbildung):

  1. Dein [1] Zwerchfell zieht sich zusammen, wird flacher und dehnt sich nach unten aus. (Dieser Teil der Einatmung wird auch als Bauchatmung bezeichnet.)
  2. Deine [2] Zwischenrippenmuskeln – und bei größerer Anstrengung auch deine [3] Skalenusmuskeln – dehnen deinen Brustkorb, deine [4] Rippen werden nach oben außen gezogen. (Dieser Teil der Einatmung wird auch als Brustatmung bezeichnet.)
  3. In deinem nun erweiterten Brustkorb dehnt sich auch deine [5] Lunge aus, der Druck in den leeren Lungenräumen sinkt.
  4. Durch diesen Unterdruck kann Luft über deine Atemwege in die [6] Bronchien und deine beiden Lungenflügel gelangen.

Die Ausatmung geschieht weitestgehend passiv – sofern du dich nicht bewusst auf deine Ausatmung im Rahmen von Atemtechniken konzentrierst. Dein Zwerchfell entspannt und wölbt sich wieder nach oben. Auch die anderen Atemmuskeln entspannen sich, dein Brustkorb wird wieder kleiner. Deine Lunge zieht sich aufgrund ihrer Eigenelastizität zusammen (vorstellbar wie eine Art Gummiband). Die verbrauchte Luft wird Richtung Mund und letztlich nach draußen gepresst.

Vor allem beim tiefen Einatmen werden deine Bauchorgane – angeleitet durch dein Zwerchfell – regelrecht nach unten gepresst und breiten sich beim Ausatmen dann wieder in deinem Oberkörper aus. Wenn du deine Bauchmuskeln hingegen stark anspannst, kann sich dein zusammengezogenes Zwerchfell nicht richtig nach unten ausdehnen, d. h. deine Rippen werden umso stärker ausgedehnt und vorrangig der obere Teil deiner Lunge wird mit Luft gefüllt.

Du siehst: Wir können bewusst variieren, welche Muskeln wir beim Atmen vorrangig nutzten und welche Körperräume sich beim Einatmen ausdehnen und bewegen dürfen.

Wenn du eine Hand auf den Bauch und eine Hand auf den Brustraum legst, kannst du diese Bewegungen und Vorgänge vielleicht erspüren oder dir besser vorstellen.

Bild AtmenStressreaktionen und Atmung

Sicher hast du selbst schon einmal beobachtet, dass deine Atmung unter Stress (auch im Sinne von körperlicher Anstrengung wie sportlicher Betätigung oder unter Angst) schneller ist und auch dein Herz schneller schlägt.

Unser Sympathikus ist aktiviert – derjenige Teil des vegetativen Nervensystems, der mit Leistungsfähigkeit, Aktivität und Reaktion auf Gefahren assoziiert ist. Durch die erhöhte Aufnahme von Sauerstoff wird zusätzliche Energie bereitgestellt. Eine schnellere Atmung, ein erhöhter Herzschlag und ein höherer Blutdruck sind also notwendig, um unseren Körper mit Extraenergie zu versorgen.

In Stresssituationen, wie sie vor vielen hunderten von Jahren ausgesehen haben (z. B. bei Begegnungen mit gefährlichen Tieren oder menschlichen Feinden), war dies äußerst effektiv: Unser Körper hat sich blitzschnell an die bedrohliche Situation angepasst und war bereit für Kampf oder Flucht (Fight-or-flight-Reaktion).

Stresssituationen in der heutigen Zeit haben jedoch oftmals einen eher langfristigen Charakter (der spezifische Stressor ist nach Kampf oder Flucht nicht weg!). Und Stress ist heute selten physischer, sondern eher psychischer bzw. sozialer Natur (Stress mit den Kollegen im Büro, Pflege der Eltern, Unzufriedenheit mit der Studienwahl, Zukunftsängste etc.).

Einer akut lebensbedrohlichen Situation, auf die unser jahrtausendealtes Stresssystem ausgelegt ist, sind wir heutzutage – zum Glück! – eigentlich nicht ausgesetzt.

Daher bringt uns diese – u. a. durch die erhöhte Atmung, den erhöhten Herzschlag und Blutdruck – zusätzlich für den Körper bereitgestellte Energie nicht viel.

D. h. du hast erst einmal ungenutzte physische Energie durch den akuten Erregungszustand deines Körpers. Das alleine ist schon ungünstig – ausgehend davon, dass viele von uns eher sitzenden Tätigkeiten nachgehen und der notwendige körperliche Ausgleich oft fehlt.

Und wer mag schon körperliche Stressreaktionen wie schwitzige Hände, einen erhöhten Puls, einen roten Kopf, Durchfall, Rückenschmerzen, Übelkeit, Kopfschmerzen …?

Hinzu kommt aber, dass die kognitive Leistungsfähigkeit unter Stress sinkt. Fatal, wenn man bedenkt, dass in heutigen Stresssituationen oftmals ein besonnenes Abwägen und Bedenken verschiedenster Lösungsmöglichkeiten entscheidend ist.

Der „Tunnelblick“ – das reine Fokussieren auf den einzelnen Stressor und das Ausblenden weiterer Umgebungsreize – war in damaligen stressigen Situationen hilfreich und überlebensnotwendig (und ist es auch heutzutage noch, wenn es um akut lebensbedrohliche Situationen wie z. B. Auto- und Sportunfälle, Feuer oder Gewalttaten geht). Es hat dem Steinzeitmenschen nicht geholfen, während einer bedrohlichen Situationen wahrzunehmen, welche schönen Pflanzen links und rechts von ihm stehen oder darüber nachzudenken, ob er sein Werkzeug mal wieder schärfen sollte …

Wenn wir Menschen in heutigen Stresssituationen jedoch einen Tunnelblick haben sowie blitzschnell reagieren wollen, ist dies meist eher von Nachteil. Hilfreicher wäre oftmals: ruhig und besonnen reagieren, andere Perspektiven einnehmen, weitere wichtige Informationen berücksichtigen.

Abgesehen davon also, dass stressige Situationen einhergehen können mit …

  • unangenehmen körperlichen Empfindungen (schnellerer Herzschlag, Schwitzen, Unruhe, Verspannungen, Kopf- und Rückenschmerzen, Verdauungsproblemen etc.)
  • negativen Emotionen (z. B. Angst, Scham, Hoffnungslosigkeit)
  • schädlichen Verhaltensweisen (z. B. sozialer Rückzug oder aggressives Auftreten, gesundheitsschädliches Verhalten wie schlechtere Ernährung und Rauchen)
  • destruktiven Gedanken („Ich schaff das alles nicht, ich bin ein Nichtsnutz“) …

… lohnt sich ein gutes Managen von akutem Stress, um den eigenen Blick wieder zu weiten, das körperliche Erregungsniveau herunterzufahren und die vorliegende Situation realistischer und mit mehr Lösungsmöglichkeiten zu betrachten.

Eine fantastische Möglichkeit dazu: bewusstes Atmen!

Bewusstes Atmen – als Antwort auf die Stressreaktion

Hast du an stressigen Tagen auch schon das Gefühl gehabt, gar nicht zu atmen, flach zu atmen, das Atmen zu vergessen?

Das ist natürlich nie wirklich der Fall; wir atmen stets unbewusst weiter („es atmet uns“  ist auch häufiger in Yogaliteratur zu lesen). Aber so zeigt die Idee, das Atmen zu „vergessen“, doch sehr eindrücklich, wie sehr ruhiges und vielleicht auch bewusste(re)s Atmen (zu Recht!) in unserer Vorstellung mit Entspannung und Ruhe verknüpft ist.

Denn im Gegensatz zur Stressreaktion ist der Atem (und auch der Herzschlag) im entspannten (oder schlafenden) Zustand langsamer.

Mit dem Atem auf den Körper Einfluss nehmen

Wie bereits beschrieben können wir mit unserem (eigentlich autonomen, unbewussten) Atem wunderbarerweise auch Einfluss nehmen auf unseren Körper und seine Reaktionen.

Dein Atem ist also ein ganz wertvolles Instrument, um in Stresssituationen deinem Körper ganz bewusst zu signalisieren: „Fehlalarm – es geht hier nicht um Leben und Tod … sondern meine Ziele, Werte etc. sind bedroht und dabei hilft mir deine ganze körperliche Reaktionskette überhaupt nichts. Lieber Körper, du solltest lieber Ruhe bewahren und Schritt für Schritt schauen, wie du in dieser Stresssituation souverän reagieren kannst.“

Und das Beste: Dein Atem kostet nichts und du hast ihn immer dabei!!

Es gibt eine Vielzahl von Atemtechniken; im Yoga ist von Pranayama – der Kunst der Atemlenkung – die Rede.

Eine bewusste, achtsame, wertfreie Wahrnehmung des Atems ist der erste hilfreiche Schritt: Wie atmest du gerade, jetzt in diesem Moment? Atmest du eher im Brustbereich oder eher im Bauchbereich, würdest du deinen Atem als schnell oder langsam oder … beschreiben? Wo spürst du im Körper die Atembewegungen? Kannst du den Übergang vom Einatmen zum Ausatmen wahrnehmen und wiederum vom Ausatmen zum Einatmen?

Neben der Atembeobachtung kannst du durch Atemlenkung den Atem in Stresssituationen auch bewusst verlangsamen und – einfach gesprochen – deinem Körper somit rückwirkend signalisieren: „Ich kann ruhig und entspannt atmen, also bin ich nicht in Lebensgefahr!“  Dadurch können weitere unangenehme körperliche Stressreaktionen ebenfalls vermindert werden.

Einfache Atemtechniken sind z. B. deinen Atem ganz ruhig zu zählen („Ich atme ein … eins zwei drei vier … und ich atme aus … eins zwei drei vier …“ ) sowie deine Ausatmung zu fokussieren und länger zu ziehen als die Einatmung.

Probier z. B. – vielleicht ja auch genau jetzt einmal – aus, deinen Atem beim Ausatmen durch deine leicht geöffneten Lippen gleiten zu lassen (Lippenbremse).

Durch die nach und nach verlangsamte Atmung und den somit ebenfalls verlangsamten Herzschlag kann sich eine Entspannungsreaktion in deinem Körper breit machen (der Parasympathikus gewinnt die Oberhand) – was den Boden für gelassenes und souveränes Handeln bietet.

Durch Atembeobachtung und -lenkung im Hier und Jetzt sein

Und zugleich hilft die Atembeobachtung und -lenkung auch im Sinne der Achtsamkeit: Wenn du dich im Hier und Jetzt auf deinen Atem konzentrierst, kannst du dich nicht zeitgleich mit deiner stressigen Situation, deinem Problem, den Aufgaben des nächsten Arbeitstages, der aufgeschobenen Entscheidung, der Urlaubsplanung, dem Einkaufszettel o. ä. beschäftigen.

Du gönnst deinem Gehirn also eine wunderbare Pause.

Vielleicht hilft dir auch der Gedanke: „Liebes Problem, ich kümmere mich gerne in einer Viertelstunde wieder um dich. Jetzt widme ich mich ausnahmsweise einmal bewusst meinem Atem.“  (Keine Sorge – dein Problem wird in den fünfzehn Minuten nicht weggelaufen sein 😉 …).

Wo finde ich weitere Informationen zu Atemtechniken?

Wenn du dich gerne vertieft mit Atemtechniken auseinandersetzen möchtest: Es gibt gute Angebote von Krankenkassen. Die TK bietet z. B. eine kostenlose CD mit Atemanleitungen an (nein, ich bekomme keine Provision 😉 …).

Dass das Thema Atem derzeit in aller Munde ist, zeigt unter anderem eine aktuelle GEO-Zeitschrift mit einem diesbezüglichen Titelthema, die einen guten Überblick zu dem Thema gibt und auch eine Atemanleitung enthält.

Ansonsten ist ein Yoga-Präventionskurs immer eine gute Wahl, in dem häufig ein paar bestimmte Atemtechniken vorgestellt werden. Bekanntere Pranayamas sind z. B. der Ujjayi-Atem und die Wechselatmung.

Weitere Informationen zu Pranayama und einigen bekannteren Atemtechniken aus der Yoga-Schule folgen demnächst in einem gesonderten Beitrag.

Bis dahin wünsche ich dir eine gute Zeit – und: frohes und bewusstes ATMEN.

Wiebke

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6 Kommentare

  • Avatar
    antworten Nora Ern 23. März 2017 at 2:21

    Liebe Wiebke, liebe Louisa! Euren Beitrag würde ich direkt so meinen Patienten in der Osteopathiepraxis ans Herz legen. ✌🏻️

    • Dr. Wiebke Stegh
      antworten Dr. Wiebke Stegh 23. März 2017 at 19:11

      Liebe Nora, vielen Dank für deine Rückmeldung!

      Ich denke, das Thema „Atmen“ und die tollen Einflussmöglichkeiten durch bewusste(re)s Atmen kann man den Menschen (Osteopathiepatienten, Trainingsteilnehmern, Freunden, … und natürlich auch sich selbst!) gar nicht oft genug ins Bewusstsein holen.

      Ich wünsche dir (und deinen Patienten) weiterhin frohes Atmen und gutes Behandeln :).

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    antworten Alexandra B. Schopnie 13. Oktober 2017 at 18:37

    Toller Eintrag! Es ist wirklich erstaunlich, wie viel sich mit Atem beeinflussen lässt und wie machtvoll er gegen Schmerz, Verspannung und Stress sein kann, wenn wir unseren Körper bewusst zum richtigen Atmen einsetzen.
    Ich merke den Einfluss besonders stark beim Yoga und beim Singen – ohne die richtige Atemtechnik, fällt beides sehr viel schwerer. Wenn man sich überlegt, dass bei der natürlichen Geburt das richtige Atmen DAS Instrument ist, den Wehenschmerz in Schach zu halten und genügend Kraft aufzubringen – wahnsinn!
    Ich beginne gerade mit einem frischen Blog zum Thema „Entspannung“ (im weitesten Sinne) und freue mich über einen Besuch! Das Thema „Atmung“ wird auch bald bei mir auftauchen!

    • Dr. Wiebke Stegh
      antworten Dr. Wiebke Stegh 17. Oktober 2017 at 8:20

      Liebe Alexandra,

      vielen Dank für deinen Kommentar und die Perspektivenerweiterung: Singen und die Geburt sind ja noch einmal ganz andere und sehr spannende Anwendungsgebiete für das Atmen.
      Ich wünsche dir viel Freude und Erfolg mit deinem neuen Blog und werde ganz sicher mal bei dir vorbeischauen.

      Viele Grüße
      Wiebke

  • Avatar
    antworten Atmen lernen 14. Oktober 2020 at 14:42

    Super Beitrag! ich habe selber schon verschiedene Atemtechniken ausprobiert und bin beeindruckt von der Wirkung auf meinen Körper. Habt ihr auch Verbesserungen wahrgenommen? Würde mich über einen Austausch freuen.

    • Dr. Wiebke Stegh
      antworten Dr. Wiebke Stegh 14. Oktober 2020 at 17:05

      Welche Atemtechniken hast du denn schon ausprobiert? Ich merke immer wieder, wie gut es mir tut, ganz bewusst und tief zu atmen. Atmen passiert ja ganz automatisch, aber sich die Zeit zu nehmen, den Atem zu beobachten und auch zu lenken, ist für mich eine wunderbare Möglichkeit, ruhiger zu werden.

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