Ich erlebe Yoga als ein so wertvolles Hilfsmittel für mich, als ganzheitliche Ressource – auf körperlicher wie auf mentaler Ebene. Daher dachte ich mir: Das muss ich doch stärker mit meiner Arbeit als Psychologin kombinieren können und stellte mir folgende Fragen:
- Wie kann ich die (Natur)Wissenschaft Psychologie und die Erfahrungswissenschaft Yoga zusammenbringen und Synergieeffekte nutzen?
- Wie lassen sich
a) die wissenschaftlichen Erkenntnisse und Theorien der Psychologie (die nach möglichst großen Fallzahlen und kontrollierten Erhebungsbedingungen strebt, um die Ergebnisse auf Viele(s) übertragbar zu machen und wirkliche Kausalitäten bestätigen zu können) mit
b) den stärker individuumsorientierten, auf der Erfahrung der Einzelperson beruhenden Empfindungen aus dem Bereich des Yoga zusammenbringen?
Dieser Punkt fordert mich persönlich immer wieder heraus und ich befinde mich da in einem stetigen Reflexionsprozess.
Denn die individuellen Erfahrungen aus dem Bereich des Yoga (b) sind natürlich häufig nicht direkt objektiv überprüfbar und generalisierbar – wie es die wissenschaftliche Psychologie (a) eben erfordert.
Der Erfahrungsaustausch über Yoga genügt daher den – mir durchaus wichtigen – wissenschaftlichen Ansprüchen der Psychologie häufig nicht vollständig. (Was natürlich nicht heißt, dass es nicht gute Forschung zu den Wirkungen von Yoga gibt – aber dazu vielleicht in einem anderen Beitrag mehr 🙂 …).
In Bezug auf Yoga & Psychotherapie beschäftigen mich außerdem folgende Fragen:
- Wie lässt sich Yoga in der psychotherapeutischen Arbeit unterstützend einbringen – gerade, wo Yoga doch von vielen Psychologen selbst als so gewinnbringend und unterstützend für das eigene Leben empfunden wird?
- Wo kann Yoga in der Psychotherapie Türen öffnen zu Bereichen in die Worte – als ein wichtiger Bestandteil der meisten Therapieverfahren – nicht vordringen können und kein ausreichender Verarbeitungs- und Entwicklungsanstoß sind?
Das ist nur eine Auswahl an Fragen, die mich und die anderen Ausbildungsteilnehmer der zweijährigen Fortbildung „Yoga & Psychologie“ bei der Deutschen Psychologen Akademie, der Bildungseinrichtung des Bundesverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. (BDP), umgetrieben haben, die ich von September 2014 bis November 2016 absolviert habe.
Beschäftigen dich vielleicht ähnliche Fragen? Oder hast du beim Lesen gerade gedacht: „Ach, Yoga & Psychologie – das könnte doch tatsächlich gut zusammenpassen“ ? Dann lies am besten weiter …
Buch: „Traumasensibles Yoga – TSY. Posttraumatisches Wachstum und Entwicklung von Selbstmitgefühl“
Mit diesem Beitrag möchte ich dir Lust auf ein neues Buch machen, das die erfolgreiche Kombination von Yoga & Psychologie bzw. Psychotherapie sehr eindrücklich und praktisch beschreibt.
Das Buch liefert mir persönlich auf der einen Seite eine tolle Hilfestellung beim Reflektieren der o. g. Eingangsfragen.
Es stellt auf der anderen Seite sehr praxisorientiert einen Bereich der Psychotherapie dar, in dem Yoga bereits erfolgreich Einzug gehalten hat und seit Jahren eine anerkannte und geschätzte Anwendung erfährt: die Traumatherapie.
Als Vorreiter für diese positive Entwicklung sind vor allem Regina Weiser, Angela Dunemann und Joachim Pfahl zu nennen: die Autoren des hier vorgestellten Buches.
Und ich bin dankbar Regina Weiser im Rahmen meiner Yogaausbildung persönlich kennengelernt und von ihr Spannendes über den Einsatz von Yoga im (trauma)therapeutischen Kontext erfahren zu haben.
Ein paar Daten zum Buch „Traumasensibles Yoga“
Mit vollem Titel heißt das Buch „Traumasensibles Yoga – TSY. Posttraumatisches Wachstum und Entwicklung von Selbstmitgefühl“.
Von Angela Dunemann & Regina Weiser ist bereits 2010 das Buch „Yoga in der Traumatherapie“ erschienen.
Das vorliegende neue Buch haben die beiden Autorinnen zusammen mit ihrem Kollegen Joachim Pfahl geschrieben, mit dem sich auch zusammen Menschen im Traumsensiblen Yoga (TSY) ausbilden (siehe www.traumasensiblesyoga.de).
Das neue Werk ist am 08. April 2017 im Klett-Cotta-Verlag in der auch sonst empfehlenswerten Reihe „Leben Lernen“ erschienen, umfasst 248 Seiten und kostet 28.00 €.
Beschreibung des Verlags
Der Verlag selbst beschreibt das Buch wie folgt:
„Yoga nimmt unter den körperorientierten traumatherapeutischen Angeboten eine herausgehobene Stellung ein.
Durch das Prinzip der achtsamen Körperwahrnehmung werden Heilungsprozesse angestoßen, die den vom Leben abgeschnittenen traumatisierten Menschen wieder in Verbindung bringen – mit sich selbst und mit der Welt.
Das Autorenteam stellt hier sein in der Weiterbildung erprobtes Konzept des Traumasensiblen Yoga (TSY) vor, das neben dem Kernteil der Yoga-Praxis im therapeutischen Umfeld viele andere dazugehörige Aspekte thematisiert:
- Warum wirkt Yoga?
- Wie begegnet der Therapeut besonderen, traumabedingten Schwierigkeiten?
- Wie passt der Yoga-Ansatz zu den verschiedenen therapeutischen Schulen?
- Wie kann Yoga eine entwicklungspsychologische Nachreifung anstoßen?“
An wen richtet sich das Buch?
Dieses Buch richtet sich laut Beschreibung des Verlages an
- PsychotherapeutInnen aller Schulen,
- TraumatherapeutInnen,
- Yoga- und MeditationslehrerInnen
und ist meines Erachtens nach auch eine wertvolle Quelle für
- Menschen, die die Verbindung von Yoga & Psychologie generell spannend finden (auch über Trauma hinaus),
- Menschen, die sich (nicht nur im Erstberuf) mit Trauma auseinandersetzen (müssen), z. B. im Rahmen von Flüchtlingsarbeit, oder auch
- Yogis, die neue Impulse für ihre eigene Yogapraxis suchen.
Wieso Yoga in der Traumatherapie?
Nicht nur im Rahmen meiner zweijährigen Fortbildung „Yoga & Psychologie“ habe ich immer wieder Therapeuten schildern hören, dass sie z. T. in der Therapie „mit Worten alleine nicht weiterkommen“.
Sie wünschen sich weitere, ganzheitliche(re) Ansätze als Begleitung und Hilfestellung für ihre therapeutische Arbeit und für ihre Patienten.
Vor allem auch aus der Arbeit mit Traumapatienten ist bekannt, dass reine Verbalisierungen und kognitive Ansätze nicht ausreichen, um die tief liegenden, komplexen und aus zersplitterten Einzelerlebnissen bestehenden Traumata besprechbar und therapierbar zu machen.
Das vorgestellte Buch schildert immer wieder sehr eindrücklich, wie gerade Yoga die wichtige Verbindung schafft zwischen Atmen, Bewegung und Bewusstsein.
Und genau diese Verbindung haben viele traumatisierte Menschen verloren, da sie aus Selbstrettungsgründen diese Verbindung während der traumatischen Erfahrungen kappen mussten.
Wie gehen die Autoren in dem Buch vor?
Beschreibung von Trauma & Yoga
Die Autoren starten mit einer Erklärung, was Trauma ist – eben „der Verlust von Verbindung“ (Kapitel 1).
Sie holen auch Fachfremde gut ab mit einer kurzen Beschreibung von traumatisierten Personen bzw. von Patienten mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) – so lautet die Diagnose im Fachjargon, die u. a. Folgendes kennzeichnet:
- die Unfähigkeit, sich zu spüren und zu fühlen (Dissoziation),
- das Haftenbleiben an negativen Bilder und Erinnerungen aus der Vergangenheit,
- Hyperarousal (eine Übererregtheit des vegetativen Nervensystems) sowie
- Vermeidungsverhalten, um unbeschreiblich Schlimmes aus der Vergangenheit nicht wieder erleben zu müssen.
Danach schildern die Autoren übersichtlich, wie (Hatha-)Yoga wirkt (Kapitel 2).
Yoga setzt direkt an dem beschriebenen Verlust von Verbindung an, den Traumatisierte erleben:
- Bewegungsübungen können Anspannung, Erstarrung & Angst im Körper lösen.
- Ein achtsames Nachspüren, was eine bestimmte Yogaübung im Körper auslöst, hilft beim Verbindungsaufbau zum Selbst und zum Fühlen.
Traumasensibles Yoga oder TSY
Den Autoren gelingt es im Folgenden, auf eindrückliche und übersichtliche Art darzustellen, wie die Wirkungen des Yoga direkt an den Herausforderungen von Traumapatienten ansetzen (Kapitel 3).
Als Beispiel seien folgende Gegenüberstellungen auf körperlicher, seelischer und Gedanken- und Bewusstseinsebene genannt:
Was sollte beim Yoga mit Traumatisierten beachtet werden?
Hervorzuheben sind – neben der pragmatischen und überzeugenden Darstellung, warum Yoga & Trauma wie „Schlüssel & Schloss“ zusammenpassen – die Hinweise der Autoren, was beim Praktizieren bzw. Anleiten von Yogaübungen bei Traumatisierten besonders zu beachten ist.
So können beispielsweise Yogaübungen, die in Rückenlage ausgeführt werden, das Gefühl des Kontrollverlustes und des Ausgeliefertseins verstärken.
Ein zu fordernder Unterrichtsstil, der einen Leistungsgedanken transportiert, kann überfordern – ähnlich wie auch das traumatische Erlebnis zu Überforderung geführt hat.
Die neun Leitlinien des traumasensiblen Yoga und Tipps für die Gestaltung von Entspannungsphasen im Yoga runden diese Hinweise ab und liefern eine hilfreiche Anleitung für Yogalehrer und Traumatherapeuten.
Worum geht es in dem Buch noch?
Im letzten Drittel des Buches gehen die Autoren darauf ein,
- wie sich Yoga in die verschiedenen Therapieformen Psychoanalyse, systemische Therapie und Verhaltenstherapie eingliedern lässt (Kapitel 4).
- wie die Hirn- und Bewusstseinsforschung zum Yoga passt. Die Autoren stellen dabei einen spannenden Forschungsansatz vor, der folgende drei Erhebungsarten kombiniert:
1.) Selbstbeobachtung durch dich selbst
2.) Fremdbeobachtung durch eine dir unbekannte Person (den Forscher) und
3.) das Besprechen der subjektiven Erfahrungen in der Gruppe, um zu prüfen, ob andere ähnliche Erfahrungen gemacht haben oder es Einzelerfahrungen sind (Kapitel 5).
- welche Entwicklungsschritte Kleinkinder durchlaufen, welche Parallelen es zum Trauma gibt und wie Yoga bei der „Nachreifung“ helfen kann (Kapitel 6).
- dass Traumatisierte lernen können, mit den schlimmen Erfahrungen umzugehen oder sogar an diesen zu wachsen – u. a. mit Hilfe der Entwicklung von Selbstmitgefühl (Kapitel 7).
Was liefert mir das Buch „Traumasensibles Yoga“?
Das Buch liefert mir persönlich eine gute Reflexionshilfe beim Zusammenbringen von meinem fachlichen Hintergrund der Psychologie und der jahrhundertealten Tradition des Yoga.
Das Ganze geschieht an dem konkreten „Beispiel“ der Traumatherapie – nichtsdestotrotz lassen sich die Erkenntnisse natürlich auch für die Therapie anderer psychischer Erkrankungen, wie z. B. Depressionen, nutzbar machen.
Auch ohne jeglichen Traumabezug ist das Buch eine schöne Zusammenstellung von zum Teil sehr einfachen und zugleich sehr wirkungsvollen Yogaübungen.
Die vielen Bilder und sehr genauen Anleitungen zum Ausführen der Bewegungs- und Spürübungen erleichtern das Umsetzen in die Praxis sowohl für Yogalehrer als auch für Yogaübende.
Häufige Fallschilderungen von Patienten erleichtern das Verstehen und den Praxistransfer.
Ein beispielhafter Auszug aus einer Übungsabfolge
Die Autoren geben dem Leser immer wieder hilfreiche Affirmationen, d. h. selbstbejahende Sätze, an die Hand. Auch diese können eine schöne Bereicherung für die eigene Yogapraxis sein oder in den Yogaunterricht integriert werden – auch ohne Traumakontext.
Als Beispiel möchte ich dir dafür an dieser Stelle ein paar Affirmationen für eine einfache Ausführung des Sonnengrußes –
der bekanntesten Übungsabfolge im Yoga (häufig zu Beginn einer Yogastunde praktiziert) – geben:
- stehende Ausgangshaltung: „Ich stehe mit beiden Beinen auf der Erde.“
- Arme werden geöffnet nach oben geführt: „Ich öffne mich für alles Wahre, Schöne und Gute.“
- in die stehende Vorbeuge gehen: „Und verbeuge mich vor dem, was größer ist als ich.“
- zwei Schritte mit den Füßen nach hinten gehen: „Ich komme in meine Kraft.“
- usw.
Eine weitere schöne Übung, die ich auch schon selbst gerne in den Yogastundenaufbau integriert habe, ist die Drehübung.
Vielleicht hast du ja Lust, diese direkt mal auszuprobieren?
- Setz dich auf den Boden oder einen Stuhl.
- Dein Oberkörper kann sich nun zwei Seiten zuwenden – nach links oder nach rechts drehen.
- Die eine Seite steht für positive Aspekte (z. B. Gegenstände, die dir gefallen; Dinge, die dir leicht fallen).
- Die andere Seite steht für negative Aspekte (z. B. Gegenstände, die du nicht magst; Dinge, die dir schwer fallen).
- Du kannst dich abwechselnd zur einen und zur anderen Seite drehen, um immer wieder in deiner Mitte zu verweilen und beide Seiten zusammenzuführen und beide Anteile zu akzeptieren.
- Beide Seiten gehören zum Leben, aber du kannst jederzeit entscheiden, welchem Teil du dich mehr zuwenden möchtest – ganz nach der Idee: Alles, was Aufmerksamkeit von dir bekommt, wächst.
Mein abschließendes Fazit zu dem Buch
Zusammengefasst: Die vielen Bilder, hilfreichen Affirmationen, genauen Übungsanleitungen und anschaulichen Fallbeschreibungen liefern einen tollen Fundus für Yogalehrende und Yogaübende.
Auf sehr anschauliche Weise gelingt den Autoren die Verbindung von Yoga und Trauma, die die Traumatherapie bereichern kann.
Einzig an manchen Stellen geht mein „Herz als Wissenschaftlerin“ mit mir durch. Da wünschte ich mir noch mehr Untermauerung einzelner Aussagen durch aktuelle wissenschaftliche Studien. Gelegentlich merkt man die unterschiedliche Feder des jeweiligen Autors und deren verschiedene Anwendungshintergründe von Yoga & Traumatherapie: Manche Übungen sind in einer kindgerechten Sprache formuliert und mir damit persönlich zu phantasievoll, zu „kindlich“. Die Schwellen für beide Punkte sind bei mir zugegebenermaßen schnell erreicht ;-). So ganz bekomme ich die „kognitive Psychologin“ da (noch?) nicht aus mir raus.
Wie am Anfang des Beitrages beschrieben, befinde ich mich da in einem fortwährenden Reflexionsprozess und Versuch, Yoga & Psychologie für mich gut zusammenzubringen. Das Buch über „Traumasensibles Yoga“ ist für mich dabei eine sehr gelungene Unterstützung.
Was ich ganz besonders an dem Buch schätze
Ganz besonders schätze ich an dem vorliegenden Werk, dass durchgehend ein Bild des Yoga gezeichnet wird, das fern von jeglichem Leistungsdruck ausgeübt wird.
Es wird eine wohlwollende und achtsame Yogapraxis beschrieben, die eine Stütze beim Verbinden von Körper, Seele und Geist liefert – etwas, das nicht nur für Traumapatienten, sondern für jeden Menschen eine wichtige Lebensaufgabe ist.
Wenn ich dir nun (hoffentlich) Lust gemacht habe auf das Buch: viel Spaß beim Lesen!
Wenn du sonst noch mehr über Traumsensibles Yoga (TSY) erfahren möchtest, schau doch mal auf der Website zum TSY vom Autorenteam vorbei: www.traumasensiblesyoga.de.
Ich werde in der nächsten Zeit übrigens noch weitere Bücher vorstellen, die in eine ähnliche Richtung gehen.
Falls du weitere Buchtipps zur gelungenen Kombination von Yoga & Psychologie hast: immer her damit!
Eine gute Zeit für dich
3 Kommentare
Danke für den tollen Buchtipp 👍 Gerade der Bereich Yoga und (Trauma)Therapie interessiert mich total. Ich werde deinen Artikel gleich mal in meiner Yoga-Fortbildungsgruppe empfehlen. Ich freue mich auf mehr. Liebe Grüße Nina
Liebe Nina,
vielen Dank für deine Rückmeldung!
Dann wünsche ich dir – bzw. euch – viel Spaß beim Lesen, darüber Austauschen und Anwenden.
Auch ohne konkreten Traumabezug finden sich in dem Buch bereichernde Ansätze für jeden Yogaunterricht.
Sonnige Grüße
Wiebke
Hallo Nina, die Fortbildungen im Traumasensiblen Yoga werden durch uns angeboten. Hier dozieren die Autoren. http://www.traumasensiblesyoga.de